Kloß und Spinne – Teil 26: Führer war alles besser

So. Nach einer Woche Arbeit habe ich keine Ahnung mehr, ob der Film gut ist …

Eigentlich sollte es dazu noch einen kleinen Text mit einigen Gedanken zum Thema geben, aber das muss nun doch noch warten.

Grüße aus dem Studio Strübing …

KS_SF_600

Gewalt

Anders als man bei dem Titel denken könnte, ist dies hier ein positiver Beitrag. Er beschäftigt sich mit dem gleichnamigen Sachbuch von Steven Pinker, dessen Grundthese zwischen all den populären Welt- oder wenigstens Zivilisationsuntergangsprognosen deutlich heraussticht:

Dieses Buch halndelt vom Wichtigsten, was in der Menschheitsgeschichte jemals geschehen ist. Ob sie es glauben oder nicht – und ich weiß, dass die meisten Menschen es nicht glauben: Die Gewalt ist über lange Zeiträume immer weiter zurückgegangen, und heute dürften wir in einer der friedlichsten Epochen leben, seit unsere Spezies existiert.

Man muss nur an die Ukraine oder an den Gazastreifen denken, an die Konfrontation zwischen China und Japan, an nordkoreanische Atombomben, die Wars on Drugs und Terror oder die Völkermorde in Afrika in den letzten Jahrzehnten, um daran zu zweifeln. Ganz unglaublich wird es, wenn er davon spricht, dass Gewalt in jeder Form und auf jedem Gebiet rückläufig ist: von Krieg über Mord bis hin zu häuslicher Gewalt.

IMG_0148_klein

Lassen wir die Zweifel für einen Moment beiseite und stellen uns vor, er hätte recht: Es wäre nicht nur eine gute Nachricht, sondern auch eine, die viele beliebte Denkmuster umwirft, all das „Früher war alles besser“, „die Moderne führt in die Katastrophe“, „das ist nunmal die menschliche Natur“ und „der Mensch ist des Menschen Mensch“ etc.pp. Die Frage, ob die Gewalt in der Geschichte der Menschheit zugenommen hat, auf dem Rückzug ist oder völlig unabgängig von allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen Entwicklungen ausbricht oder ausbleibt, ist ein entscheidender Faktor für die Beantwortung der Frage, ob es letztlich überhaupt Fortschritt gibt und ob dieser Fluch oder Segen ist.

Die Vorstellung, die Gewalt habe zugenommen, legt die Vermutung nahe, unsere von uns selbst gestaltete Welt habe uns – vielleicht unwideruflich – vergiftet. Die Vorstellung, dass sie abgenommen hat, lässt dagegen darauf schließen, dass wir anfangs garstig waren und dass die Hervorbringungen der Zivilisation uns in eine edle Richtung gelenkt haben, die wir hoffentlich weiterhin beibehalten können.

Auf mehr als 1000 Seiten sammelt Pinker Belege für seine These und geht dann möglichen Ursachen auf den Grund, wobei er außer in der Quantenphysik und Musiktheorie auf so gut wie jedem Gebiet der Natur- und Geisteswissenschaften unterwegs ist. Das Ganze ist äußerst spannend, mörder interessant und überwiegend prima zu lesen.

Na gut: Auf den ersten paar hundert Seiten zieht es sich manchmal ein wenig. Dort erzählt er die Geschichte der menschlichen Gewalt und unterlegt sie mit Dutzenden Statistiken, die ihren Rückgang belegen sollen. Tatsächlich veranstaltet er hier einigen Zahlenzauber und ich bin sicher, dass einige der Statistiken auf tönernen Füßen stehen, aber die Gesamtheit ist überzeugend, zumal die Interpretation mir stets plausibel schien.

IMG_0147_kl

An eins muss man sich dabei gewöhnen: Pinker arbeitet mit Maßeinheiten, die dem Herz erst mal an die Nieren gehen (sozusagen): Kriegstote/Mordopfer/Hingerichtete pro 100.000 Menschen, solches Zeug. Und wenn vor 500 Jahren in einem Land mit zehntausend Einwohnern 100 pro Jahr Opfer von Gewalt wurden, dann wertet er es als Fortschritt, wenn im selben Land 300 Jahre später von 100.000 Einwohnern nur 200 umgebracht wurden. Mit solchen Rechnungen kommt man schnell dahin, dass der Zweite Weltkrieg zwar eine Beule nach oben in der nach unten weisenden Kurve der Gewalt war, aber nur hab so schlimm, wenn man ihn mit dem Dreißigjährigen Krieg vergleicht. So etwas kann schnell einmal zynisch klingen:

Nimmt man die massenhaften Gräueltaten der Menschheitsgeschichte zum Maßstab, so ist die Giftspritze für einnen Mörder in Texas oder ein gelegentliches Hassverbrechen […] eine recht harmlose Angelegenheit.

Das Buch ist aber keineswegs zynisch (im Gegenteil: es ist ein Apell gegen Zynismus und Fatalismus), und auch wenn solche Rechenspiele jedem menschlichen Gefühl widersprechen, sind sie doch legitim, wichtig und aussagekräftig.

Der spannendere Teil ist die Suche nach den Ursachen für den Gewaltrückgang. Pinker findet viele Kandidaten, aber (Achtung Spoiler!), die meisten davon lassen sich auf ein Schlagwort zurückführen: „Zivilisation“ – ausgerechnet das, was vielen als der Weg des Menschen in die Verderbnis erscheint. Der Autor zeigt eindrucksvoll, wie unhaltbar alle Theorien von „im Einklang mit der Natur und sich selbst lebenden“ Wilden und Urhippies sind. Er identifiziert die Aufklärung als eins der Ereignisse (bzw. eine der Epochen), die den größten positiven (also negativen) Einfluss auf die Gewaltentwicklung hatten und widerspricht allen Behauptungen, die Aufklärung habe etwa zum Holocaust geführt.

Er beschäftigt sich mit der Biologie, Psychologie, Ökonomie und Moral der Gewalt. Einiges, was er bei der Ursachenforschung findet, behagt mir nicht, ist deshalb aber nicht einfach von der Hand zu weisen und jedenfalls lesenswert und diskussionswürdig. Pinker stimmt der „Broken window“-Theorie und folglich auch der „Zero Tolerance“-Politik im Kampf gegen das Verbrechen zu, erklärt eine dem Trend entgegenstehende extreme Zunahme des Verbrechens in den USA in den 60er- und 70er-Jahren mit dem schlechten Einfluss der Popkultur und sieht eher freien Handel als „Wohlstand für alle“ als befriedenden Einfluss.

Ich schrieb oben, dass ich sein Buch in weiten Teilen sehr überzeugend und die meisten seiner Thesen plausibel fand. Ich kann aber nicht sagen, inwieweit das daran liegt, dass ich ihm glauben wollte. Weil es gut tat, nach all dem Gekeife, dem Zynismus oder Fatalismus mit dem der Untergang beschworen (und, zumindest was die Demokratie angeht, vielleicht auch als selbsterfüllende Prophezeiung herbeigeschrien) wird, etwas zu lesen, was Mut macht, was einem das Gefühl gibt, es sei nicht alles verloren und es ergäbe Sinn, auf die Zukunft zu hoffen.

IMG_0151_klein

Der Autor selbst würde wohl zustimmen, dass die insgesamt nach unten weisende Zickzacklinie der Gewalt gerade wieder nach oben ausschlägt. Kriege, Bürgerkriege, Aufstände und vor allem das Revival von religiösem Fanatismus und Nationalismus mit all ihren schlimmen Begleiterscheinungen lassen nichts Gutes für die nächsten Jahre erwarten. Aber dennoch gibt es Hoffnung.

Bei allem Kummer in unserem Leben, bei allen Schwierigkeiten, die auf der Welt noch bleiben, ist der Rückgang der Gewalt eine Leistung, die wir würdigen können, und ein Impuls, die Kräfte von Zivilisation und Aufklärung, durch die sie möglich wurde, hoch zu schätzen.

So. Und jetzt kauft euch alles das Buch, ich suche Leute, mit denen ich darüber diskutieren kann:

Statt Amazon: Taschenbuch oder Ebook beim Landbuchhändler bestellen.

Making-of-Notes: Gestern (Sonnabend) kam es beinahe zu einem Ausschlag nach oben in den Gewaltstatistiken der Deutschen Bahn, als ich im ICE nach Augsburg eine halbe Stunde lang die FAZ zerriss, weil ich viel Zeit und die Idee mit den Collagen hatte. „Krrrrcccht!“, „Krrrrrchcchchchchchchchchcht-Ratsch!“, „Krchk!“ – ich hätte mich gehasst!

 

 

Nach Halt ich sehnt mich in der Welt

Ein Schnipseltext zum Thema Nachhaltigkeit.

1.

Dieser Text ist nicht nachhaltig. Für seine Herstellung wurden 130 Gramm Papier aus 217 Gramm finnischer Lärche, deren Wachstum 4 Monate dauerte, wobei 21 Gramm Kohlendioxid gebunden wurden, denen 467 Gramm Kohlendioxid und 2,98 Liter Wasser, die während ihrer Verarbeitung freigesetzt bzw. verschmutzt wurden, gegenüberstehen, verwendet. 57 Kaffeebohnen mussten angepflanzt, mit 7 Gramm chemischem Dünger aus 16 Gramm hochgiftigen Ausgangsmaterialien gedüngt, mit 24 Litern Wasser gegossen, schließlich geerntet, getrocknet, geröstet, gemahlen, vakuumverpackt, nach Deutschland verschifft, und per LKW zum Supermarkt gefahren, verkauft, mit 6 Litern Wasser, das unter Einsatz von 0,9 Kilowattstunden Energie aus gemischten Quellen auf 100 Grad Celsius erhitzt wurde, aufgebrüht und getrunken werden, um den kreativen Prozess in Gang zu setzen, in dessen Verlauf das Gehirn des Autors insgesamt 2400 Kilokalorien verbrannte, die er durch den Verzehr eines großen XXL-Schnitzels vom Schwein, dessen Aufzucht und Zubereitung 12.000 Kilowattstunden Atomstrom verbrauchte, 72 Kilogramm CO2 freisetzte, 1256 Liter Wasser verschmutzte und das am Ende nicht einmal schmeckte, zu sich genommen hatte. Die Recherche der eben genannten Fakten verschlang 0,0007 Sekunden Rechenzeit und 0,02 Kilowattstunden Strom auf den Serverfarmen von Google, sowie 1 Stund Rechenzeit und 0,8 Kilowattstunden Strom auf meinem heimischen Rechner, bevor ich beschloss, dass Recherchieren bleiben zu lassen und mir sämtliche Zahlen einfach selbst auszudenken in der berechtigten Annahme, dass Sie, werte Leser, das alles ohnehin sofort wieder vergessen werden – oder könnten sie noch ohne nachzuschauen sagen, wieviel Gramm welchen Baums angeblich in diesem Text stecken?)

2.

Ob ein Text nachhaltig ist, verrät nicht seine Energiebilanz, sondern ob etwas von ihm in den Zuhörern nachhallt.

3.

Vergessen Sie alles, was sie eben gelesen haben. Ein Text, der sich um das Siegel für nachhaltiges Schreiben bewirbt, sollte zu einem möglichst großen Anteil aus Altideen, Second-hand- und second-brain-Gedanken, recycleten Pointen und gebrauchten Argumenten bestehen. Daher bin ich froh, in Punkt 6 einen Vorschalg zu präsentieren, den ich hier an dieser Stelle bereits vor 2 Jahren machte, was einer Recyclingquote von Prozent (auf die Wortanzahl bezogen sogar 40 Prozent) entspricht.

4.

Sanfter und nachhaltiger Tourismus gilt als besserer Tourismus als Massentourismus. Besser für die Umwelt, besser für die Reisenden, besser für die einheimischen Arbeiter in der Tourismusindustrie. Doch diese Aussage ist ungefähr so sinnvoll wie die Aussage, ein Regentropfen sei besser als eine vierzigtägige biblische Sinflut, denn die Sinflut bestand auch nur aus harmlosen Regentropfen und ein sanfter Tourismus, der zum Massentourismus wird, hört auf auf sanft zu sein, selbst wenn es nur um einen Ausflug an den Liebnitzsee geht. Sanfter Tourismus ist in aller erster Linie weniger Tourismus. Und eine Abkehr vom Massentourismus heißt vor allem: Dass die Masse nicht mehr Tourist sein kann. Aber die Masse hat sich sowieso immer nur mit Sangria besoffen und sich nicht für Land und Leute interessiert, die Masse soll mal schön zuhause bleiben und Doku-Soaps über Familien im Brennpunkt gucken!

5.

Die Zerstörung der letzten schönen, unberührten Flecken der Erde schreitet in atemberaubenden Tempo voran. Urwälder werden zu Palmölplantagen, Dünen zu Betonburgen, Wiesen zu Parkplätzen, Bauern zu Hotelangestellten, Gletscher zu Wasser, die letzten Exemplare mancher Fischart zu Fischstäbchen. Was kann der Einzelne in dieser Situation tun? Es verhindern? Unmöglich, das ist zuviel verlangt von einem Einzelnen. Die Antwort lautet: Verreisen! Ab in den Urlaub, solange es noch geht! Verreisen sie billig, dann könne Sie öfter verreisen! Machen Sie dass letzte Foto von den letzten ihrer Art und drehen sie das letzte Video vom letzten Fleckchen Regenwald, damit sie ihren Enkeln einst die Bilder zeigen können! Verwenden Sie dafür nur bestes Equipment. Wenn alle Wunder der Natur in ausreichendem Maße in HD und 3D abgefilmt sind, dann brauchen wir sie im Grunde genommen nicht mehr! Seien sie doch einmal ehrlich: Was nutzt Ihnen persönlich irgendein Korallenriff in der Südsee? Würden Sie freilebende Gorillas wirklich vermissen? Haben Sie nicht viel mehr von all den schönen Palmölprodukten als vom Urwald auf Sumatra? Und was haben die Eisbären und Wale eigentlich jemals für uns getan?

6.

Was den Wal angeht, muss ich mich revidieren und entschuldigen. Im Februar 2012 strandete vor der belgischen Küste der Wal Teofiel, dessen Kadaver zu 50 Prozent von einem kleinen innovativen Unternehmen zu Biodiesel verarbeitet wurde. Hier drängt sich natürlich sofort der Gedanke auf, dass Wale zukünftig einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten könnten. Allein der aus diesem Tier gewonnene Brennstoff liefert 50.000 Kilowattstunden Strom, genug Strom, um 14 Haushalte ein Jahr damit zu versorgen oder eine halbe Million Liter Kaffee aufzubrühen. Beim Wal handelt es sich also um einen nachwachsenden Rohstoff von großem ökonomischen und ökologischen Potential.

Die Umwandlung von Walen, diesen ebenso liebenswerten wie energiereichen Meeressäugern in Biodiesel stellt daher eine zeitgemäße Art dar, unseren flossenbewährten Freunden einen angemessenen Platz im nachhaltigen Energiemix der Zukunft zuzuweisen. Für ein Land wie Deutschland würde schon die vergleichsweise kleine Zahl von 1,2 Millionen Pott- oder 0,7 Millionen Blauwalen ausreicht, um sage und schreibe 6,3 Prozent des Gesamtenergiebearfs zu decken.

Alternativ ließe sich dieselbe Menge auch durch Verdieselung des dicksten Viertels der US-amerikanischen Bevölkerung erzielen, allerdings gilt diese Bevölkerungsgruppe in Amerika als strategische Energiereserve für den Fall eines arabischen Ölembargos. Die Ausfuhr stark übergewichtiger Amerikaner, auch ins befreundete Ausland unterliegt daher strengen Beschränkungen.

Darüberhinaus könnte die Walzucht in küstennahen Walfarmen dem Tourismus neue Impulse geben. Insbesondere Massenschlachtungen in kleinen Buchten wären ein Besuchermagnet, der viel Geld in chronisch unterentwickelte Regionen bringen würde.

Selbstverständlich sind vorher noch einige Vorbehalte seitens von falsch verstandener Tierliebe geleiteter sogenannter „Walschützer“ auszuräumen.

Der Wal selbst steht vor einer historischen Entscheidung: Will er wie bisher fröhlich und gedankenlos in den Tag hineinleben, seine ulkigen Lieder pfeifen und auf das Aussterben warten? Oder ist er endlich bereit, Verantwortung für sich und den ganzen Planeten zu übernehmen und sich Seite an Seite mit seinem besten Freund, dem Menschen, dem Klimawandel und der Abhängigkeit von arabischem Öl und russischem Gas entgegenzustellen?

Eine bessere Welt ist möglich. Wir haben die Wahl. Denn wir haben den Wal!

7. Nachhaltiges Liebesgedicht

Nach Halt ich sehnt mich in der Welt
nach Antworten und Trost für mich
Ich fand sie nicht in Ruhm und Geld
hab lang die Frage falsch gestellt
doch dann trat aus dem dunklen Wald ich
und fand auf der Such nach Halt – Dich

Die Große Vereinheitlichte Verschwörungstheorie

Auf den Tag genau seit 12 Jahren fragen sich die Menschen: War es Al-Quaida? Oder war es die CIA? Pünktlich zum Jubiläum der Anschläge auf WTC etc. kommt nun die Große Vereinheitlichte Verschwörungstheorie: Es waren beide zusammen! Kurz zusammengefasst lautet diese so: Die Terroristen von Al-Quaida hatten nie ein Selbstmordattentat vor, sondern planten eine herkömmliche Entführung, um Gefangene freizupressen. Die CIA (oder Kollegen eines anderen amerikanischen Geheimdienstes) bekam davon Wind, präparierten die Twin Towers und das WTC 7 rasch mit Thermit, lenkten dann mittels Autopilot die Flugzeuge samt den verblüfften Entführern in die Twin Towers und sprengten diese dann. Kann man ja mal drüber reden.

DSC03508

(Aus der Reihe „Hat nüscht mit dem Thema zu tun, aber die Abendsonne war so schön“: Dresden Neustadt I)

Als Beleg für die These, die Terroristen hätten nie ein Selbstmordattentat geplant, bringt der Autor unter anderem die Tatsachen vor, dass einer der Entführer sich kurz vorher für das Bonusprogramm der Fluggesellschaft angemeldet und ein anderer einen Anschlussflug gebucht hatte – und das ergäbe ja nun überhaupt keinen Sinn, wenn die beiden vorgehabt hätten zu sterben. Tote sammeln keine Punkte und den Anschlussflug ins Paraddies braucht ein Dschihadist nicht extra buchen. Wohingegen „herkömmliche“ Entführer natürlich stets Meilen sammeln und davon ausgehen, dass die Verhandlungen zur Freilassung der Passagiere und der freizupressenden Gefangenen rasch genug abgewickelt sind, um den Anschlussflug in den Urlaub nicht zu verpassen – sonnenklar!

Dann ist da noch die alte Geschichte, dass die Türme auf eine Art eingestürzt seien, die nur durch gezielte Sprengung erklärbar sei. Lassen wir mal außer acht, dass diverse Statiker mindestens genauso überzeugend erklärt haben, dass sich der Einsturz sehr wohl aus dem Einschlag der Flugzeuge erklären ließe und auch genau auf diese Weise habe ablaufen müssen – diese Leute sind natürlich alle Teil der Verschwörung. Und letztlich kann man mir da sowieso die phantastischsten Geschichten auftischen, ich habe schlicht keine Ahnung.

DSC03501

(Dresden Neustadt II)

Aber ich kann mich doch fragen: Wenn die CIA die Flugzeuge in die Türme gesteuert hat, warum haben sie dann den ohnehin hochsensiblen Plan zusätzlich verkompliziert und das Risiko auf Entdeckung der Verschwörung gewaltig erhöht, indem sie die Türme gesprengt haben? Für den beabsichtigten Pearl-Habor-Effekt, die Begründung für Krieg und totale Überwachung hätte die Nummer mit den Flugzeugen vollkommen ausgereicht!

Wie soll man mit solchen Theorien umgehen? Es gibt in dem Artikel durchaus einige interessante Fragen. Wenn ich danach suchen würde, würde ich aber sicher herausfinden, dass es dazu auch schon Antworten gibt. Und dann stehe ich doch wieder vor der Entscheidung mich für eine Variante zu entscheiden, denn letzten Endes habe ich keine andere  Möglichkeit, als mich auf das zu verlassen, was irgendwelche Leute ins Internet geschrieben oder in Fernsehkameras gesagt haben. Einzige Entscheidungshilfe (neben Ockhams Rasiermesser) ist es, sich die Positionen gut durchzulesen und auf logische Fehler in der Argumentation abzuklopfen.

Der Autor geht noch auf ein Argument gegen Verschwörungstheorien ein: Es wird gern behauptet, eine so großangelegte Verschwörung wie das 9/11-Komplott müsse auffliegen, weil so etwas nicht geheim bleiben könne. Entweder jemand würde es ausplaudern oder sie würde sich durch irgendeine allzumenschliche Dummheit selbst enttarnen. Dem setzt der Autor unter anderem die „Gladio“-Verschwörung entgegen, die von den 50er bis in die 90er Jahre geheim blieb. Komplexe Verschwörungen könnten also über Jahrzehnte im Verborgenen existieren. Der Punkt ist aber doch, dass diese Verschwörungen nur geheim blieben, bis sie enthüllt wurden, danach brachen sie zusammen und die Details kamen ans Licht. Die angebliche US-Verschwörung zur Zerstörung des World Trade Centers aber wurde bereits kurz nach 9/11 enthüllt, von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert – und trotzdem ist die Verschwörung immer noch intakt. Merkwürdig.

Desweiteren führt  er aus, dass die Geheimdienstverschwörung gar nicht besonders groß gewesen sein müsse – und lässt damit die vielen Leute unter den Tisch fallen, die im Nachhinein nötig waren, um Beweismittel zu manipulieren und die noch größere Zahl von Leuten, die diese nachträglichen Manipulationen (etwa der Passagierlisten) bemerkt haben müssen. Und natürlich all die Experten, bei denen die Schlapphüte mit der Bitte vorstellig werden mussten, eine glaubwürdige Theorie für den Zusammenbruch der Türme zu erfinden, damit niemand merkt, dass sie in Wirklichkeit gesprengt wurden …

DSC03450_1

(Berlin Prenzlauer Berg)

Bis jetzt erscheint mir die offizielle Variante immer noch die wahrscheinlichste – ihr könnt entscheiden, ob ich vom CIA gekauft oder von der Systempresse gehirngewaschen wurde…

Vor 7 Jahren schonmal zum selben Thema: Wenn Du nicht paranoid bist, bist du ein Fall für den Psychiater inklusive Link zum lustigsten 9/11-Cartoon der Welt.

PS: Wer mit mir drüber diskutieren will, kann gerne zu einer meiner nächsten Lesungen kommen. Hinterher an der Bar lässt sich trefflich die Welt erklären:

11.9., Mittwoch, Leipzig, 20.00 Uhr, Horns Erben

12.9., Donnerstag, Chemnitz, 20.00 Uhr, Das Tietz

13.9., Freitag, Dortmund, 20.00, Fritz-Henßler-Haus, Koch & Gast

14.9., Sonnabend, Zürich, Schauspielhaus, Poetry Slam Gala zur Saisoneröffnung

 

Final Proof

In meiner unendlichen (und irgendwie ja auch liebenswerten) Naivität hatte ich mir noch immer einen Funken Hoffnung bewahrt. So schlimm wird es schon nicht sein, habe ich mir eingeredet, bestimmt hat die Menschheit nicht komplett den Verstand verloren.

Doch heute morgen hatte ich meinen Wonko-der-Verständige-Moment: Es istZeit, das Äußere des Irrenhauses zu bauen. Beim Frühstück in einem kleinen Baseler Hotel verlosch der letzte Hoffnungsfunken zischend in einer Nespresso-Tasse:

DSC00589 

Eine Spezies, die Individuuen hervorbringt, die auf die Idee kommen, Tassen mit geschlossenen Henkeln zu bauen, gehört in die Geschlossene und hat ganz sicher jedes Recht verwirkt, den Begriff sapiens im Gattungsnamen zu führen. Wahrscheinlich haben ein Designer, der schon lange nicht mehr alle Henkel an der Tasse hatte, und ein zugekokster Marketingmensch darüber nachgedacht, wie sie „die Marke“ stärken könnten. „Wir brauchen irgendwas Unverwechselbares, Einzigartiges! Und da unser Kaffee das nicht ist, lass uns doch mal gucken, was wir mit den Tassen anstellen können!“

An diesem Punkt hat vielleicht ein Teammitglied, das noch über Spuren von Resthirn verfügte, zu bedenken gegeben, dass sich das Prinzip „Henkel mit Loch zum Durchstecken eines oder mehrerer Finger“ seit Jahrtausenden bewährt habe und ein Henkel ohne Loch sinnlos sei, da sich die Tasse an ihm nur sehr unbequem und unsicher halten ließe – woraufhin ihm garantiert sofort (bzw. nachdem man ihn ein bisschen verkloppt hatte) gekündigt wurde, da Traumtänzer, die der seltsamen Idee anhängen, Produkte sollten sinnvoll sein und ihren Benutzern das Leben so einfach und schön wie möglich machen, in Design- oder Marketingabteilungen nun wirklich nichts zu suchen haben, und sich mal bitte ganz schnell zu Streicheltherapeuthen für behinderte Tiere oder so umschulenlassen sollten, aber ganz schnell!

DSC00583

(Enrüstet weist Micha E. aus B. auf die Henkel des Anstoßes)

So weit, so schlimm. Bis hierhin könnte man das ganze noch als die Dummheit einiger weniger betrachten. Doch als Micha Ebeling und ich den Rezeptionsmenschen des Hotels auf die Tassen ansprachen, gab der zu, dass das ja schon ganz schön blöd sei und fügte hinzu: „Komisch. Wir haben die schon ne ganze Weile, aber da hat uns noch niemand drauf angesprochen.“ Das muss man sich mal vorstellen! Hunderte, Tausende Hotelgäste haben diese Tassen frag- und kritiklos hingenommen! Es wird alles immer schlimmer. Bald wird irgendein Autohersteller Autos mit ovalen Rädern anbieten, um ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz zu haben und die Menschen werden auch dieses Auto kaufen – und ehrlich: Sie verdienen es nicht besser.

(Ich verweise an dieser Stelle aus gegebenem Anlass noch einmal auf diesen etwas älteren Artikel.)

DSC00566

(Basel, Bayreuth, Kuhschnappel: Wo man auch hinkommt: The Fuck Hornisschen Orchestra war schon da und hat seine Aufkleber hinterlassen. Ausnahme: Chicago – dort war bisher nur das Team Totale Zerstörung.)

DSC00575

(Dieses seltsame Gefühl, wenn du in einem Club in einer fremden Stadt hinter der Kellertreppe plötzlich ein Gemälde von dir entdeckst …)

(Volker Strübing)

Bettel Star Galactica

Mehrere Facebookfreunde haben das Video empfohlen, insgesamt wurde es fast 30.000 Mal bei Facebook geteilt und mehr als 15 Millionen mal auf youtube angeschaut. Na gut, ich guck’s mir auch an: Sentimentales Klaviergeklimper. Ein blinder Mann sitzt auf einer Treppe neben einem Fußweg. Eine Blechbüchse und ein Schild: „I’m blind. Please help me!“ Passanten eilen vorbei, einige werfen achtlos eine Münze hin. Nahaufnahmen des traurigen Mannes und einiger Leute, die von seinem Leid ungerührt ihren Geschäften und Vergnügungen nachgehen.

Eine hübsche Frau (soweit man das trotz ihrer Puck-die-Stubenfliege-Brille beurteilen kann) stöckelt an ihm vorbei, hält inne, kehrt um und hockt sich vor ihn. Während er ihre Schuhe abtastet, schreibt sie wortlos etwas auf die freie Rückseite seines Pappschildes und stellt es wieder hin. Dann geht sie, und in der Folge kann sich der Bettler kaum noch vor Spenden retten, er kommt kaum mit dem Einsammeln der Münzen hinterher, die auf seine Sitzdecke herabregnen, niemand geht mehr vorbei, ohne sein Portemonnaie zu zücken, er sollte dringend über die Anschaffung eines Kartenlesegerätes nachdenken oder morgen zumindest eine Schubkarre mitbringen.

Schließlich hockt sich die junge Frau erneut vor ihn, er erkennt sie an ihren Schuhen. „What did you do to my sign?“, fragt er.

„I wrote the same“, antwortet sie lachend, etwa so, als würde sie einem kleinen Kind erklären, dass es doch nicht schlimm sei, dass es eingepullert habe, „but with different words!“

Abgang der Frau, Schwenk auf das von ihr geschriebene Schild: „It’s a beautiful day and I can’t see it.“ Schwarzblende. 2 Schrifttafeln zu ausfadender Schnulzmusik. „Change your words. Change your world“, sagt die erste, die zweite stellt die Internetmarketingfirma vor, die mit diesem Rührstück für ihre Dienste wirbt.

Ich lese ein paar Kommentare: „Wie schön, mir geht das Herz auf“, „Das ist so süüüüüüüüß“, „Wenn es doch mehr Menschen wie diese nette Frau gäbe“, „Teilt dieses Video, das sollten sich manche mal zu Herzen nehmen“, „Ich hätte fast geweint“. Statt zu weinen kotze ich in breitem Strahl auf die Tastatur (denkt einfach an die Restaurantszene aus „Der Sinn des Lebens“). Ich weiß vor Schreck gar nicht, was ich schlimmer finden soll: Das Video selbst, die angehängte Werbetafel oder die Kommentare. Mit einem Kotzkübel auf den Knien zwinge ich mich, mir das Video noch dreimal anzuschauen und noch ein paar Dutzend Kommentare zu lesen, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, dass das alles nur Satire ist – erfolglos.

Was für Menschen machen sowas? Was für Menschen klicken bei sowas „Gefällt mir“? Warum dauert es noch fast drei Wochen, bis die Welt endlich untergeht?

Armut – ein Problem schlechten Marketings.

Da war diese vollkommen besoffene Frau gestern am Nollendorfplatz. Parka, strähniges Haar, eine Goldkroneflasche in der einen, einen halbzerfetzten, nach oben geklappten Regenschirm in der anderen Hand stand sie im Schneeregen und blaffte ab und zu „Fuffzich Zent, mal ’n Euro“. Statt Pianokitsch gab es „Lasst uns froh und munter sein“ von Nena aus dem Ghettoblaster eines anderen Betrunkenen, der zehn Meter weiter Stellung bezogen hatte. Welche Worte würden die Welt dieser Frau ändern und zu einem signifikanten Umsatzplus führen? Vielleicht: „Es ist ein beschissener Tag. Und ich muss ihn doppelt sehen.“

Gar nicht schlecht, oder? Ich war ja mal Werbetexter, vielleicht sollte ich mich in den Dienst der guten Sache stellen und (gegen eine faire Umsatzbeteiligung) die Armut in Deutschland besiegen. „Bettel Star Galactica“ wäre ein ziemlich cooler Name für die Agentur. Statt dem langweiligen „Bitte 50 Cent für Hundefutter“-Schild, würde ich dem Punk vor dem McDonalds einen „Lassen Sie ein Hundeherz höher schlagen“-Aufsteller gestalten, komplett mit vielen Herzchen und einem Link zur Facebook-Fanseite des Hundes, die ich gegen entsprechenden Aufpreis ebenfalls einrichten und pflegen würde.

IMG_6877

(Dieses Bild hat mit dem Artikel nichts zu tun. Ich möchte mir nur nicht nachsagen lassen, ich würde immer nur meckern und vollkommen ignorieren, dass eigentlich alles immer besser wird.)

Ich weiß gar nicht, warum ich mich über dieses Filmchen (und vor allem über die erschreckend dummen positiven Kommentare darunter) so aufrege. Es ist doch eigentlich viel schlimmer, dass es überhaupt bettelnde Menschen gibt, als dass irgendjemand diesen Umstand für klebrigen, paternalistischen Eigenwerbescheiß ausbeutet und Tausende dumme Menschen sich davon rühren lassen. Aber man kann sich ja auch nicht immer aussuchen, worüber man sich besonders ärgert.

Vielleicht bin ich ja ein kaltherziger Zyniker, der den Menschen nur die Märchen kaputtmachen will, die sie doch brauchen, um in einer Welt ohne Happy Ends klarzukommen (dabei hat mir doch „Slum Dog Millionär“ selber so gut gefallen und wenn ich mir endlich mal „Pretty Woman“ angucken würde, müsste ich bestimmt auch weinen). Und überhaupt: Wenn es in Dritte-Welt-Slums kein fließendes Wasser gibt, dann sollen die Leute halt Milchkaffee trinken.

(Volker Strübing)

Ach so: Wer den Film sehen will: http://www.youtube.com/watch?v=Hzgzim5m7oU. Ein paar Klicks mehr machen jetzt auch nichts mehr.

 

Schnipsel vom 4.11.2012 – Sind Aktualisierungen Hitler?

„Graphomanie (die Besessenheit, Bücher zu schreiben) wird zwangsläufig zur Massenepidemie, wenn die gesellschaftliche Entwicklung drei grundlegende Voraussetzungen erfüllt:

1) hoher Grad, allgemeinen Wohlstands, der es den Leuten ermöglicht, sich unnützen Tätigkeiten zu widmen;

2) hohes Maß an Atomisierung des gesellschaftlichen Lebens und daraus hervorgehend allgemeine Vereinsamung der Individuen;

3) radikaler Mangel bedeutender gesellschaftlicher Veränderungen im inneren Leben eines Volkes. (In dieser Hinsicht scheint es mir bezeichnend, daß in Frankreich […] der Prozentsatz an Schriftstellern einundzwanzigmal höher ist als in Israel. […])“

Milan Kundera, Das Buch vom Lachen und Vergessen, 1978

Bin darüber gerade gestolpert und fand’s ganz hübsch, vor allem die Sache mit den unnützen Tätigkeiten. Wenn es 1978 schon Emoticons gegeben hätte, hätte Kundera bestimmt noch ein Minus und ein Klammer-zu hinter das Semikolon gesetzt Semikolonminusklammerzu.

Der Schnipselfriedhof sieht seit Kurzem voll gerümpelig aus, die Fotos, die eigentlich genau die Breite der Textspalte haben sollten, sind plötzlich schmaler und mal rechts, mal links, mal mittig. Ich hab noch nicht nachgeguckt, was da passiert ist und ich werde auch den Teufel tun, mir damit den Sonntag Nachmittag zu verderben. Ich nehme an, dass WordPress irgendeine Aktualisierung der Software vorgenommen hat. Neulich habe ich Thunderbird aktualisiert, danach waren alle Mails und sämtliche Einstellungen samt aller sorgfältig eingerichteter Spamfilter und Ordnerweiterleitungen weg. Komplett und für immer. Zum Glück hatte ich zumindest die eingegangenen Mails des letzten Jahres noch auf meinem Laptop und irgendwo liegen Sicherungsdateien der Mails bis 2009 oder 2010 herum. „Aktualisierung“ wird für uns eines Tages einen ebenso bedrohlichen Klang haben wie „Jüngstes Gericht“ für frühere Generationen. Je stärker wir von elektronischer Kommunikation und digitalen Daten abhängig werden, je mehr wir deren Verwaltung und Speicherung an aus der Hand geben, desto müssen wir die nächsten Ideen der Software-Ingenieure und Marketing-Experten der Firmen, die uns so lieb bemuttern fürchten. Software-Aktualisierung als Schicksal.

Dinge, in die wir viel Zeit und Nerven investiert haben (zum Beispiel das Erlernen der Bedienung eines DB-Fahrkarten-Automaten) werden von einem Tag auf den anderen über den Haufen geworfen. Eines Tages schalten wir morgens den Rechner ein und stellen fest, dass uns Facebook eine neue Biografie entworfen hat, Amazon alle Bücher, die wir für den Kindle gekauft haben durch andere ersetzt und WordPress in allen Texten, die wir gepostet haben, schmutzige Wörter wie Blume, Regenbogen und Pinguin durch harmlose Wörter wie Blume, Regenbogen oder Pinguin ersetzt hat (huch!), weil sie mit Schmutz nichts mehr tun haben wollen, und irgendeine App hat unterdessen über Nacht allen Kontakten auf unserem Handy SMSe geschrieben, in denen sie Zalando oder irgendeine Dentalklinik angepriesen hat, und einen Tag nach Wahl führt die Partei, die man gerade gewählt hat, ein Software-Update durch und ist auf einmal doch für Krieg und mehr Armut und so weiter, heiliger Bimbam, uff nüscht kann man sich mehr verlassen!

Und die Aktualisierungen, die man sich wirklich wünscht, kommen nie. Warte seit Ewigkeiten, dass die Sparkasse beim Homebanking eine Funktion zur selbstständigen Editierung des Kontostandes einführt, das kann doch nicht so schwer sein.

(VS)

O! So phil Philosophie!

Die lange totgeglaubte Philosophie boomt derzeit wie seit den Tagen der ollen Griechen nicht mehr. Gar nicht so sehr wegen der Beststeller von Precht und anderen populärwissenschaftlichen Philosophieerklärern , sondern wegen der starken Philosophienachfrage seitens der Wirtschaft. Jede popelige Schraubenbude braucht ja heutzutage eine „Philosophie“, wenn sie sich am Markt behaupten will, Produkte alleine reichen schon lange nicht mehr. Ein Glück für alle Studenten dieser edlen Geisteswissenschaft, die früher dazu verdammt waren, in Holzfässern, schimmligen Wohnungen oder Feuilletons vor sich hinzuvegetieren. Endlich werden sie gebraucht. Manche Unternehmen scheinen sich regelrechte Philophieabteilungen aufgebaut zu haben.

Zum Beispiel der Fernsehhersteller Loewe, für den irgendein Manager in einem Interview auf Inforadio nicht eine, nicht zwei, sondern gleich drei Firmenphilophien präsentieren konnte. Ich stelle mir gern ein Großraumbüro voller sympathisch angetrottelter Philosophen vor, überall stehen Kaffeetassen, Teller mit Rühreiresten, halbleere  Schierlingsbecher (oder halbvolle? Ein ewiger Streit in der Abteilung!) herum, die Luft ist aufgeladen von kreativer Energie, die sich hin und wieder in Geistesblitzen entlädt: „Platon!“, brüllt da plötzlich einer  und Krümel des  Pflaumenstreuselkuchens, an dem er gerade gekaut hatte, als die Erleuchtung ihn ereilte, fliegen durch den Raum. „Höhlengleichnis!“, fügt er hinzu und plötzlich ist kein Halten mehr. Die Philosophen laufen wild gestikulierend durcheinander, Haare werden gerauft, Bärte gezupft, Kaffeetassen umgekippt. Natürlich! Das Höhlengleichnis, das ist es! Was könnte besser zu einem Fernsehhersteller passen!

Sieben Monate später, nachdem sich meherere miteinander unversöhnlich streitende philosophische Schulen gebildet, wieder aufgelöst und neu gruppiert haben, die Hälfte der Belegschaft in den Selbstmord getrieben wurde und die Mitarbeiter in der Beschwerdeabteilung eine Etage tiefer wegen des Geschreis und Getrampels über ihnen kaum noch arbeiten konnten, ist es soweit: Die Philosophen legen der Geschäftsführung die von ihnen ausgearbeitete Unternehmensphilosophie vor, ein 4000 Seiten dickes Manifest in drei Bänden, ledergebunden, die ersten beiden Bände in Schweinsleder, der dritte in die Haut eines Neopositivisten, der bei der Kaffeekasse beschissen hatte.
Die Geschäftsführung ist beeindruckt und gibt das Werk an die Marketingabteilung weiter mit der Bitte, es ein wenig zu kürzen, man habe morgen einen Interviewtermin auf der IFA und wolle der Öffentlichkeit gerne drei Unternehmensphilosophien vorstellen.

Und so durfte ich mir schließlich folgendes anhören (Gedächtniszitat): „Unsere erste Philosophie ist Qualitätsarbeit. Unsere zweite Philosophie ist verantwortungsvolles Unternehmertum. Und unsere drittte Philophie ist ‚Made in Germany'“ Sich des Umstandes, dass nicht alle Zuhörer Philosophie studiert haben, voll bewusst fügte er noch einen besonders schönen Satz an: „Und diese Philosophie können wir in Deutschland am besten leben„. Yeah! Soviel „lebenswerte“ Philosophie war selten.

(Zur Philosophie dieses Unternehmens liegen mir leider keine Informationen vor.)

(Volker Strübing)

PS: Bin noch etwas irritiert, weil die berühmte Schweizer Philosophin Hazel Brugger kürzlich darauf hinwies, das „Volker Struebing“ ein Anagramm zu „Kotversilberung“ darstellt. Klingt jedenfalls nach ner prima Geschäftsidee, man möchte fast sagen, nach einer Philosophie: Aus Scheiße Silber machen.

SNAFU und die New Nerd Order

„Was heißt hier Nerd? Du willst ein Nerd sein?“, schrie TFM. „Bloß weil du ne Brille hast, eine Wifi-Verbindung einrichten und stundenlang über Theorien zu Lost quasseln kannst? Du bist genausowenig Nerd, wie diese Idioten mit Fußballer-Iros Punks sind! Du bist genausowenig Nerd, wie irgendein Werbefuzzi Revolutionär ist, weil er nach Feierabend im Che-Guevara-T-Shirt zu einem Indi-Pop-Konzert mit gesellschaftskritischen Texten geht! Du bist ein Pseudo, du Pupnase! Du bist wie ein Bier, das sich „Fun“ nennt, obwohl es alkohol- und spaßbefreit ist! Du bist ein menschgewordenes Tofu-Würstchen mit Nerd-Simulator-App! Du hast dich doch nur als Nerd verkleidet, Mann, geh doch zum Fasching!“
TFM war außer Kontrolle, sein Kopf war rot und glänzte von Schweiß; anklagend zeigte er auf Mischas T-Shirt, auf dem „Angry Nerds“ stand – und es war keine Frage, wer hier in Wahrheit der Angry Nerd war.

(Symbolbild „Angry Nerds“)

„Hey, Peace, ist ja gut!“, sagte Mischa und hob beschwichtigend die Arme, doch an Frieden war nicht zu denken, TFM brüllte ihn nieder: „Du bist kein Nerd! Du bist nur ein verschissener Hipster, denn du – hast eine Freundin.“
Das letzte Wort spie er mit solcher Verachtung aus, das man meinen konnte, „Freundin“ sei ein Synonym für „kinderschändendes Nazi-Alien mit Mundgeruch“.

Ich bereute langsam, TFM mitgebracht zu haben. Wir kannten uns aus der C64-Crackerszene der späten 80er-Jahre in der DDR. Eigentlich hieß er Christian, TFM stand für The Floppy Monk. Später, gegen Ende der 90er Jahre, als sich immer mehr alte Bekannte, die früher nie etwas mit ihm zu tun haben wollten, bei ihm meldeten, weil er sich doch mit Computern auskenne, und naja, ihnen sei ihr Windows abgestürzt, und da dachten sie, ob vielleicht und so weiter und so fort, übersetzte er TFM gerne selbstironisch mit „The Fucking Manual“. Für uns war TFM immer The Fat Man gewesen, das passte super, und er hatte es nach einigem Gegrummel akzeptiert. Das mit den Szenenamen war damals ein großes Ding, ich nannte mich Syntax Terror, aber egal, das war lange her. Für mich zumindest – TFM war offensichtlich auf dem ganzen Scheiß hängengeblieben.

(Symbolbild „Syntax Terror“)

„Ja, na gut, ich hab ne Freundin“, sagte Mischa. „Aber das ist doch kein Grund …“, doch da unterbrach ihn TFM schon wieder: „Nein, das ist kein Grund, das ist ein Symptom! Für Nichtnerdigkeit. Echte Nerds leben wie Mönche, nur mit Youporn. Die einzigen Titten, die ein echter Nerd zu befummeln kriegt, sind seine eigenen!“ Er grabschte sich an den stattlichen Busen und ich zog ihn, entschuldigende Grimassen in Mischas Richtung machend, aus dem Backstageraum.

Scheiße. Ich hatte TFM vor ein paar Stunden zufällig getroffen, wir hatten uns seit mindestens 10 Jahren nicht gesehen und ein paar Bier zusammen getrunken. Als ich losmusste, weil ein Poetry Slam anstand, hatte ich ihn gefragt, ob er mitkommen wolle und jetzt hatte ich ihn an der Backe.
„Ich war schon Nerd, da bist du noch mit nem Luftballon um die Russenkolonne rumgerannt!“, grölte er, bevor sich die Backstagetür vor Mischas fragendem Gesicht schloss. „Da gab’s das Wort noch gar nicht! Freaks haben sie uns genannt und Mode-Typen wie du haben uns ausgelacht, weil wir Computer hatten! Lutsch meinen Joystick, du Apple-Affe!“
Ich schob den dicken, vor sich hinschimpfenden Mann vor mir her zur Bar. „’Angry Nerds‘, haha, wie witzig. Der wird sich noch umgucken. Denn wir sind wütend, oh ja!“

Bis zu einem gewissen Grad konnte ich seine Wut verstehen. 1986, als ich das erste Mal an einem Computer saß, galten diese allgemein noch als nutzlose Spielerei für weltfremde, nicht lebensfähige, asoziale Trottel der Marke „verrückter Professor“. Programmierkenntnisse waren der sichere Weg in die Isolation und die Kombination Computer, Brille, Science-Fiction-Literatur bewahrte einen zuverlässig vor frühzeitigem Geschlechtsverkehr, denn die Mädchen verschleuderten ihre Jungfräulichkeit lieber an windige Typen mit Mopeds, Blousons und Popperfrisuren. Ich lernte Assembler, hörte und schrieb dreistimmige 8-Bit-Musik und hing auf Crackerparties ab, auf denen wir Grafikdemos programmierten und nach neuen, spektakulären Möglichkeiten suchten, einen Text von links nach rechts über den Bildschirm scrollen zu lassen – wer hätte das alles gegen einen Kuss tauschen wollen?! Mit 16 entdeckte ich zum Glück Punkmusik, sie bewahrte mich vor TFMs Schicksal.

(Dieses Bild heißt: „Nerds don’t come easy“, aber nur, weil ich dieses Wortspiel unbedingt noch unterkriegen wollte und mir sowieso keine sinnvolle Bildunterschrift einfällt.)

Ich glaube, es ist nicht übertrieben, TFM und seinesgleichen als Märtyrer zu bezeichnen und auf eine Stufe mit jenen mutigen Männern zu stellen, die in den finsteren Zeiten der Inquisition die Stimme und den Zeigefinger erhoben und sagten: „Momentmal. Die Erde ist keine Scheibe!“ und damit nachfolgenden Generationen das Tor zu Aufbruch aus der Unmündigkeit und den Weg in eine neue Zeit wiesen. Diese Männer riskierten den Scheiterhaufen, wir das Fegefeuer einer ungeküssten Jugend. Wir waren die Wegbereiter. Heute sind Computer Mainstream, du bist raus, wenn du keinen hast, und niemand wird wegen seiner Brille diskriminiert, im Gegenteil, ich wette, es rennen sogar ein paar Leute mit Fensterglas vor den Augen rum, weil Brillen ja so cool sind – Brillen übrigens, das sei noch angemerkt, für die wir damals völlig zu Recht auf dem Schulhof verkloppt worden wären.

„Genau. Und wie danken sie’s uns? Indem sie uns ironisieren und nachäffen und Atari-T-Shirts tragen, als hätten sie ein Recht dazu! Retro, Retro, Retro! Zu blöd sich was eigenes auszudenken.“
„Jugend von heute, hör mir uff.“, pflichte ich ihm bei, denn ich will nur noch, dass er sich abregt und von hier verschwindet.
„Nee, kannste so nicht sagen. Es gibt schon noch echten Nerd-Nachwuchs. Leute, die richtig was drauf haben und sich nicht für Experten halten, weil sie ein bisschen Flash können und einen C-64-Emulator auf ihrem iphone installiert haben. Aber ich sag dir was: bald wird die Spreu vom Weizen getrennt. Denn diese Modenerds, die beherrschen nur die Oberfläche. Wer hat denn die Betriebssysteme geschrieben, mit denen die Arbeiten? Wer hat denn die Compiler programmiert, auf denen sie ihre armseligen Hipster-Apps schreiben? Wer hat die Protokolle entwickelt, auf denen ihr geliebtes Internet basiert. Das waren wir, die echten Freaks und Nerds, die wahren Ausgestoßenen und jetzt …“, er blickte sich misstrauisch um und bedeutete mir näher heranzurücken, „jetzt schlägt unsere Stunde, Angriff der Nerd-Krieger, The Dark Nerd Rises, Nerd Alert!“

Und so erfuhr ich von der Verschwörung der „Serious Nerds And Freaks United“ (SNAFU), der Illuminerdi, wie sie sich auch nennen, und ihrem Projekt „New Nerd Order“. Am 21.12. schlagen sie los. „Und die alte Welt wird untergehen und eine neue Zeitrechnung beginnen“, wie TFM mit übertrieben viel Pathos und gen Clubdecke gerichtetem Blick verkündete. „Seit den frühen 60er Jahren bereitet unsere Bruderschaft diesen Tag vor. Wir mussten Geduld haben. Wir mussten warten, bis sich die Menschen sich an die Computer gewöhnt hatten, bis sie von ihnen abhängig waren und sich in dem Glauben wiegten, sie würden sie beherrschen. Aber tief unter all den Touchscreens, Menüs, Icons, unter den Bedien- und Programmieroberflächen für Idioten, liegt das Reich der Maschinensprache, die Welt der Nullen und Einsen, unsere Welt, die Welt von: SNAFU.
Die Pseudos paddeln an der Oberfläche und glauben sie hätten Durchblick, wenn sie mal ein bisschen schnorcheln, doch ganz unten in der dunklen Tiefe lauern wir …

Wie die überflüssigen Abschnitte einer DNS stecken in jedem Programm und jeder App irgendwo ein paar seltsame Bytes, die scheinbar keine Funktion haben. Bis wir sie in 4 Monaten aktivieren. Und dann ist es vorbei mit all den hübschen Buttons und Schiebreglern und Fingergesten, mit Fenstern und Apps. All die schicken Smartphones und Ultrabooks werden nur noch Kommandozeileneingaben auf der untersten Betriebssystemebene und Zahlen im hexadezimalformat akzeptieren. Die Bildschirme von ipads, Fahrkartenautomaten, in Auto- und Flugzeugcockpits werden nur noch einen blinkenden Cursor vor grünem Hintergrund zeigen. Und dann werden sie angekrochen kommen und wir werden sie betteln und kriechen lassen!“ TFM lachte und rammte seine Bierflasche gegen meine. „Wir werden ihnen das neue Glaubensbekenntnis eintrichtern: Am Anfang – war der Nerd! Und sein ist die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen! Sein Reich ist gekommen, sein Wille geschieht, wie im Rechner so auch auf Erden! Verstehst du?! Nichts wird mehr laufen ohne uns! Wir haben sie im Sack!“

(Symbolbild „Nerd Domination“)

Ich starrte ihn an, während er sein Bier herunterstürzte und die Hände selbstzufrieden auf seinem beeindruckenden Bauch faltete …

Bis heute weiß ich nicht, ob er mich verarscht hat, ob das nur das größenwahnsinnige Gebrabbel eines ewig Ungeküssten war, oder ob … nun, ich denke, wir werden es rausfinden, in nicht einmal 4 Monaten.

(Volker Strübing)

PS: Ein paar Tage beruhigte ich mich damit, dass ich mir einredete, dass er mir sicher nichts von der Verschwörung erzählt hätte, wenn es sie wirklich gäbe. Doch dann fiel mir ein, dass alle erfolgreichen Verschwörungen ganz offen operiert haben. Nicht umsonst heißt es: Im Licht der Öffentlichkeit ist gut munkeln. Und außerdem wusste TFM verdammt gut, dass mir mal wieder niemand glauben würde. Kassandra wäre ein guter Künstlername für mich.

PPS: Eine weltweite Machtübernahme durch SNAFU gilt nicht als Versicherungsfall im Sinn meiner Weltuntergangsversicherung.

War on Happiness

Sommer 2012. Die Glückssucht in Deutschland ist zu einer gesellschafts- und freiheitsbedrohenden Epidemie geworden. Die Süchtigen taumeln durch die Straßen; gedankenlos, gleichgültig, hedonistisch; erbärmliche Würstchen, an nichts anderem als dem nächsten Schuss Glück interessiert; sie wollen nicht wissen; sie halten die Freiheit für etwas, das vom Jobcenter an Bedürftige ausgegeben wird; die Glückssucht hat ihren Verstand vernebelt und ihre Seelen zerfressen, alles außer der nächsten Dosis Glück ist ihnen eine Last, sogar, dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist ihnen nur schwer erträglich. Die Glücksdealer reiben sich die Hände, ihre Geschäfte laufen bestens, während die Glücksbeschaffungskriminalität immer schrecklichere Ausmaße annimmt und Glückssüchtige auf Turkey wie die Zombies in Dawn of the Dead die Einkaufszentren stürmen …
Höchste  Zeit, den „War on Drugs“ auf das Glück auszudehnen!   Weiterlesen