Ich lese gerade „Deutschland schafft sich ab“ – nachdem sogar Kloß und Spinne schon darüber diskutiert haben, möchte ich doch gerne genau wissen, worum es geht ;) Ich werde von der Lektüre hier sicher noch berichten, aber erstmal will ich es durchlesen und das kann dauern, denn mit seinen vielen Statistiken und Wiederholungen ist es nicht gerade ein Page-Turner.
Darum heute nur was zur Diskussion um das Buch. Dass es von einigen seiner Fans als Beleg einer mangelnden Meinungsfreiheit in Deutschland herangezogen wird, ist so offensichtlich hanebüchen, dass man eigentlich gar nicht darauf eingehen müsste. Es verkauft sich hunderttausendfach. Es wird überall darüber geredet und geschrieben. Dass viele der Beiträge über das Buch eine andere Meinung vertreten als die im Buch vertretene, ist Teil der Meinungsfreiheit. Und wenn jemand erklärtermaßen gern schnörkellos redet, zuspitzt und provoziert, ist es doch eigentlich ein Erfolgszeichen, wenn sich dann auch jemand provoziert fühlt.
Andererseits: Mich befällt große Fremdscham, wenn ich etwa das Bild dieses einen Demonstranten sehe, das durch alle Zeitungen und Nachrichtensendungen ging, dieser Typ mit dem „Halt’s Maul“-Plakat, wenn ich an die unsägliche Beckmann-Sendung denke, oder wenn ich im Fernsehen eine Vorschau auf eine Kabarettsendung sehe, bei der ein Florian Schröder sagt: „Thilo Sarrazin bringt Kulturen zusammen. Er ist der Beweis: Nicht nur der Islam hat hervorragende Hassprediger“ – tärä, Brüller, was haben wir gelacht, das wird man doch wohl noch sagen dürfen.
Dummheit richtet sich leider nicht nach dem Standpunkt zur Integrationsdebatte.
Ich habe einige kluge oder zumindest ernsthafte Kommentare zu Sarrazins Buch und seinen Thesen gelesen – ablehnende, diffenzierende, lobende – aber insgesamt scheint das alles in einem großen Gekeife unterzugehen. „Rassist“ brüllen die einen, „Gutmensch“ die anderen und Meinungsfreiheit scheint so ziemlich das letzte zu sein, worum es den Brüllaffen auf beiden Seiten geht, egal wie stolz sie deren Banner vor sich her tragen.
Matthias Matussek bei Spiegel Online:
„Es ist die Wut von Leuten, die es satt haben, das Mittelalter in ihrer Gesellschaft, die einen langen und mühevollen Prozess der Aufklärung hinter sich hat, zurückkehren zu sehen. Die es satt haben, für ihre Angebote an Eingliederungshilfen beschimpft und ausgelacht zu werden. Die es satt haben, über terrornahe islamistische Vereine zu lesen, über Ehrenmorde, über Morddrohungen gegen Karikaturisten und Filmemacher oder zu hören, dass auf Hauptschulhöfen „du Christ!“ als Schimpfwort benutzt wird. Die wütend zur Kenntnis nehmend lesen, dass sich westliche Staatsmänner für Frauen in einem islamischen Land einsetzen müssen, weil diese dort als Ehebrecherinnen gesteinigt werden sollen.
Merkwürdigerweise aber sind nun zumindest viele der bei uns lebenden türkischen Mitbürger – und in der „SZ“ am Wochenende werden acht junge vorgestellt – nicht darüber empört, sondern über Sarrazins Buch.“
Lassen wir mal die Frage beiseite, wie oft „du Christ!“ als Schimpfwort auf Hauptschulhöfen gebraucht wird (ich nehme an, seltener als „Du Kanacke / Opfer / Spast / Schlampe / Homo“ und ganz sicher seltener als „Gutmensch“ in der Sarazzin-Diskussion, aber da haben weder ich noch Matussek belastbares Zahlenmaterial). Was will uns Matussek mit seinem Beitrag sagen? Ich verstehe das so: In Deutschland lebende Türken sollen gefälligst die Schnauze halten, wenn über in Deutschland lebende Türken geredet wird, es sei denn, sie stellen ihrer Wortmeldung eine Erklärung über ihre Empörung über die Unrechtspraxis im Iran voran und werfen sich Asche aufs Haupt wegen doofer türkischer Hauptschüler und karikaturistenmordender Fanatiker. Dass die 8 jungen Leute in der SZ wahrscheinlich auch die Steinigung verurteilt hätten, aber eben nicht danach, sondern nach Sarrazin gefragt wurden – egal.
So. Eigentlich wollte ich jetzt noch was zum Thema „Gutmensch“ schreiben, aber das muss bis morgen warten.
(VS)
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